Deutsche Gesellschaft für Angioödeme e.V. Ärztliche Gesellschaft zur Erforschung der Angioödeme |
Das
hereditäre Angioödem (HAE) durch ererbten Mangel an C1-Inhibitor
(C1-INH) tritt in zwei Formen auf. Bei der ersten und häufigsten
Form (85% der Patienten) handelt es sich um einen Synthesedefekt
des C1-INH, der quantitativ stark vermindert vorliegt. Die zweite
Form (15% der Patienten) beruht auf einer funktionellen
Insuffizienz, einem Aktivitätsmangel, des C1-INH, der aber in
normaler oder sogar erhöhter Menge vorliegt. Das HAE
manifestiert sich am häufigsten in der zweiten, nicht ganz
selten auch bereits in der ersten Lebensdekade. Angioödeme durch
einen erworbenen C1-INH-Mangel beginnen dagegen nahezu immer im
Erwachsenenalter. Im höheren Lebensalter verlaufen die
Krankheitsschübe beim HAE oft mit allgemein etwas abgeschwächter
Symptomatik.
Die Hauptsymptome des HAE bestehen in umschriebenen Hautödemen der Gliedmaßen, des Gesichts, des Stammes, außerdem in krampfartigen, wiederkehrenden Schmerzattacken des Abdomens sowie selten in Ödemen der Luftwege. Die Schwellungen der Haut sind fast nie mit Juckreiz, sondern lediglich mit einem Spannungsgefühl, seltener auch mit Schmerzen verbunden. Sie bestehen durchschnittlich ein bis drei Tage, können sich jedoch bereits nach einigen Stunden oder erst nach sieben Tagen zurückbilden. Häufig sind Gesicht und Extremitäten betroffen. Die Dauer der Schwellungen ist auch beim selben Patienten unterschiedlich, ebenso das Ausmaß und die Lokalisation der Schwellungen. Über begleitende oder vorausgehende, uncharakteristische, nicht juckende, makulöse Exantheme, gyrierte Erytheme oder anulär-serpiginöse Exantheme wird manchmal von den Patienten berichtet.
Die
meisten Patienten weisen außer den Hautschwellungen auch eine
gastrointestinale Symptomatik auf, wobei die krampfartigen
Schmerzen am häufigsten sind, Übelkeit, Brechreiz und Erbrechen
jedoch nicht selten gleichfalls beobachtet werden. Im Verlauf
eines solchen Anfalls, der wiederum zumeist 2-7 Tage dauert, können
wässrige Diarrhöen durch Flüssigkeitsansammlung im Lumen des
ödematösen Darmes auftreten. Nicht selten ist ein vorübergehender
Aszites vorhanden. Bei einigen Patienten treten die abdominellen
Symptome auch isoliert auf.
Larynxödeme
treten spontan auf oder folgen manchmal einer Traumatisierung der
Mundhöhle bzw. des Pharynx, insbesondere nach Zahnoperationen
oder einer Tonsillektomie. Das Larynx- und Glottisödem beginnt
mit Schluckbeschwerden, Stimmveränderungen und Heiserkeit, ehe
es zu Atemnot kommt. Eine Erstickung ist möglich. Die Larynxödeme
treten häufig isoliert auf, jedoch kann der Anfall zunächst mit
peripheren Schwellungen beispielsweise im Gesicht oder auch an
den Extremitäten beginnen, denen dann das Larynxödem folgt. Bei
Beginn eines Glottisödems muß unverzüglich mit der Therapie
und den Vorbereitungen für eine eventuell notwendige Intubation
oder gar Tracheotomie begonnen werden.
Zu den Faktoren, die eine Attacke auslösen, gehören in erster Linie Traumen wie Operationen, Zahnoperationen, Tonsillektomien, weiterhin Verletzungen, auch Minimaltraumen. Außerdem werden von Patienten psychische Streßsituationen und Infektionen als Anlaß angegeben.
Zu beachten ist, daß - ähnlich wie bei anderen hereditären Komplementdefekten - bei einem nicht geringen Teil der Patienten mit HAE verschiedene Autoimmunkrankheiten gleichzeitig vorhanden sind.
Früher,
also bevor eine geeignete Überwachung und medikamentöse
Langzeitbehandlung möglich war, erreichte die Sterblichkeit bis
zu 30%, in einzelnen Familien sogar bis zu 50%. Die Todesursache
war fast immer eine Erstickung durch eine Obstruktion der oberen
Luftwege. In der heutigen Zeit sterben kaum noch Patienten an
dieser Krankheit. Besonders gefährdet sind Patienten, bei denen
die Diagnose "hereditäres Angioödem durch C1-Inhibitor-Mangel"
nicht gestellt ist.
Das HAE durch C1-INH-Mangel wird autosomal dominant vererbt. Jeder Patient ist für den C1-INH-Defekt heterozygot und hat ein normales und ein defektes Gen. Patienten mit HAE-Typ I besitzen ein normal exprimiertes C1-INH-Gen und ein abnormales oder deletiertes Gen, das nicht exprimiert wird. Patienten mit einem HAE-Typ II besitzen ebenfalls ein normales Gen, das andere Gen ist abnormal und wird exprimiert, es führt zur Synthese eines dysfunktionellen C1-INH. Das Gen, das den C1-INH kodiert, ist auf dem langen Arm des Chromosoms 11 lokalisiert. Durch neue Techniken zur Erkennung von Mutationen sind zahlreiche Mutanten inzwischen bekannt geworden, inzwischen sind es mehr als 100. Das HAE Typ II entsteht durch Punktmutationen im C1-INH-Gen.
Der C1-INH kontrolliert die
spontane Autoaktivierung der ersten Komplement-Komponente (C1)
ebenso wie aktiviertes C1. Ein Mangel an funktionellem C1-INH führt
zu Komplementaktivierung und rezidivierenden Angioödemen. 1963
identifizierten Donaldson und Evans den C1-INH-Mangel als Ursache
des HAE. Der C1-INH ist ein Glykoprotein von 105.000 Dalton
Molekulargewicht. Es handelt sich um ein einkettiges Protein, das
aus 478 Aminosäuren besteht und überwiegend in Hepatozyten
gebildet wird, geringfügig auch in Blut-Monozyten,
Hautfibroblasten und endothelialen Zellen der Nabelschnur. Durch
die Aktivierung der Anfangsphase des Komplementsystems kommt es
als Folge zu einer permanenten Verminderung von C2 und C4 im
Plasma. Die exakte Pathogenese des Angioödems
ist noch nicht geklärt, insbesondere ist der
Hauptmediator, der zur Gefäßpermeabilitätserhöhung führt,
nicht bekannt. Es wurde postuliert, daß Bradykinin vermehrt über
das nicht ausreichend vom C1-INH inhibierte Kallikrein entsteht
und die Schwellungen bewirkt. Eine zweite Hypothese ist, daß das
gespaltene C2 zur Entstehung der erhöhten Permeabilität der Gefäßwände
führt.
Die Labordiagnostik sollte bei klinischem Verdacht folgende Parameter umfassen:
Die Plasmakonzentration des C1-INH liegt bei gesunden Probanden zwischen 15 und 35 mg/dl. Bei 85 % der Kranken mit HAE besteht ein quantitativer Mangel an C1-INH im Plasma, der auch in den Intervallen nachweisbar ist.
Die therapeutischen Bemühungen bei HAE gliedern sich in eine Therapie des akuten Anfalls, eine Langzeitprophylaxe und eine Kurzzeitprophylaxe.
Eine Akuttherapie ist bei lebensbedrohlichen Attacken wie Schwellungen im Gesicht, im Halsbereich, der Mund-, Pharynx- und Larynxschleimhäute notwendig. Die Injektion von C1-INH-Konzentrat kann hier lebensrettend sein. Infusionen von frischem Gefrierplasma (fresh frozen plasma, FFP) können ebenfalls günstig wirken. Das Risiko einer Übertragung von infektiösen Agentien (Viren etc.) ist bei beiden Behandlungsformen zu beachten. Patienten mit einem hereditären Angioödem im Kopfbereich mit Ödem der Haut, des Pharynx oder Larynx sind wegen der drohenden Erstickungsgefahr ein Notfall und sollten unverzüglich stationär behandelt werden. Die Therapie beim akuten, lebensbedrohlichen Larynxödem im Rahmen eines hereditären Angioödems richtet sich nach dem Grad des Glottisödems. Besteht eine vital bedrohliche Atemnot, so sollte unverzüglich eine Intubation, auch unter Benutzung einer Fiberoptik, oder im äußersten Notfall eine Tracheotomie oder sogar eine Koniotomie erfolgen.
Für
eine Langzeitprophylaxe werden bei einem Teil der Patienten
attenuierte Androgene eingesetzt, insbesondere Danazol und
Stanozolol. Sie sind im allgemeinen gut wirksam, die unerwünschten
Wirkungen bei einem Teil der Patienten begrenzt jedoch diese
Behandlungsform. Weiterhin zeigt auch Tranexamsäure bzw. Epsilon-Aminocapronsäure
eine deutliche Wirksamkeit, wenn auch nicht bei allen Patienten.
In besonders gelagerten Krankheitsfällen kann auch eine
Dauerbehandlung mit C1-INH-Konzentrat erfolgen. Wird das
Konzentrat aus humanem Plasma gewonnen, so ist das Risiko einer
Übertragung von Infektionserregern zu beachten.
Die
Kurzzeitprophylaxe sollte insbesondere vor Operationen im Mund-
und im Gaumenbereich erfolgen, speziell bei zahnärztlichen
Eingriffen, Tonsillektomien, aber auch anderen operativen
Eingriffen im Kopfbereich sowie nach Traumen des Kopfes. Für die
Kurzzeitprophylaxe steht C1-Inhibitor-Konzentrat zur Verfügung,
auch ist sie ist im Prinzip ebenfalls mit Danazol und Stanozolol
möglich.